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08.12.2015 13:10
Frankreich: Fremdenangst versus Wirtschaftspolitik?
Erklärungsversuche im Mainstream zielen darauf ab, den überwältigenden Wahlerfolg des Front National mit den Anschlägen in Paris zu erklären. Die Verbindung zu der europäischen, katastrophalen, neoliberalen Wirtschaftspolitik wird nicht in den Fokus gerückt, obwohl genau hier der Hund begraben liegt. JWD


Quelle: RT Deutsch  |  veröffentlicht 07.12.2015

In den Nachdenkseiten ist ein Tageshinweis zu folgenden Artikel zu finden:

08.12.2015 [Quelle: German Foreign Policy]
Xenophobie* als Wirtschaftspolitik

Außenpolitik-Experten schreiben den jüngsten Wahlerfolg des rassistischen Front National (FN) weniger den Anschlägen in Paris als vielmehr der von Berlin diktierten Austeritätspolitik und der von Deutschland mitverursachten ökonomischen Schwäche Frankreichs zu.

Die Wahlergebnisse des FN seien schon lange vor den Attentaten steil angestiegen, heißt es in einer aktuellen Analyse aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Viele Franzosen nähmen „den Verlust der nationalen Souveränität“ in der Eurokrise „als Bedrohung des französischen sozialen Modells wahr“; die FN-Forderung, Frankreich solle „aus dem Euro austreten“ und dem nationalen Markt Vorrang einräumen, gewinne deshalb stark „an Resonanz“.

Tatsächlich sind mit Nicolas Sarkozy und François Hollande zwei französische Staatspräsidenten unterschiedlicher politischer Orientierung bei dem Versuch gescheitert, die für die französische Wirtschaft schädlichen deutschen Austeritätsdiktate zu durchbrechen und auf diese Weise die Voraussetzung für einen ökonomischen Wiederaufstieg des Landes zu schaffen.

Dass Berlin sie daran gehindert hat, ist beileibe nicht die einzige, aber doch eine wichtige Ursache für den Aufstieg des FN.

Weiterlesen im Originaltext bei ' german-foreign-policy.com ' ..hier

Albrecht Müller kommentiert den Tageshinweis in den Nachdenkseiten wie folgt:

    Die Überschrift passt zwar nicht zur Hauptaussage dieses Artikels. Aber die Analyse ist richtig. Eine von mehreren Ursachen des beachtenswerten Zuwachses der Front National ist der Export von Arbeitslosigkeit Deutschlands zu seinen europäischen Nachbarn und der von Deutschland und ähnlich gelagerten Nationen Europas ausgehenden Zwang, Sozialstaatlichkeit bei befreundeten Nationen abzubauen. – Wie wir auf den NachDenkSeiten schon oft analysiert und beschrieben haben, hat die deutsche Bundesregierung die Fehlkonstruktion der Währungsunion ausgenutzt. Eine Währungsunion kann nur blühen und gedeihen, wenn dafür gesorgt wird, dass die Wettbewerbsfähigkeiten und damit auch die Leistungsbilanzen der einzelnen Völker sich einigermaßen ausgeglichen entwickeln. Deutschlands Regierung hat auf Leistungsbilanzüberschüsse gesetzt und sich in diesem scheinbaren Erfolg gesonnt -sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste. Die Ergebnisse sind Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten in vielen Nachbarstaaten. In einigen äußert sich das dann in der Flucht gerade der meist betroffenen Arbeitnehmer und ihrer Familien nach rechts, in anderen Ländern in einer Bewegung nach links. Je nachdem, wer gerade als Ansprechpartner zur Verfügung steht. In Frankreich die FN, in Großbritannien Corbyn und in Griechenland Tsipras.

    Hinzu kommt dann noch die Verletzung der Souveränität unserer Freunde in Europa dadurch, dass die deutsche Regierung ihnen die Gestaltung ihrer inneren Ordnung aufgezwungen hat. Die Stichworte sind Privatisierung, Abbau der Sozialstaatlichkeit, Senkung der Renten und der Rechte der Arbeitnehmerschaft, Schwächung der Gewerkschaften usw..
    Auf diesem von Merkel, Schäuble, Schröder, Gabriel, Müntefering und dann auch Hollande geschaffenen Sumpf wachsen Blüten wie die Rechtsradikalen Frankreichs.

    Es gibt auch andere Gründe für das gute Abschneiden. Das sei nur kurz angedeutet:

    Manche der angeblich nicht rechtsradikalen Parteien und Führer Europas und seiner Länder reden wie Rechte und sie handeln danach. Wenn Militäroperationen als selbstverständliche Lösung von Konflikten dargestellt werden, dann zahlt das auf Parteien aus, die Gewalt unter den Menschen und Völkern ohnehin für notwendig halten.
    Eng damit verbunden ist eine erstaunlich falsche Wahlstrategie, die sich überall festsetzt wie eine Klette: man müsse in die Mitte, also in Richtung der Rechten rücken, um ihnen das Wasser abzugraben. Diese Strategie hat (fast) noch nie gestimmt. Aber sie ist so populär wie falsch.  [Quelle: nachdenkseiten.de ..hier]

Passend zum Thema:

08.12.2015 [flassbeck-economics.de]
„Der Wind des Zorns“ – Frankreich hat gewählt

„Der Wind des Zorns“ überschrieb gestern der „Figaro“ einen Kommentar zur vorgestrigen Regionalwahl in Frankreich. Und in der Tat, was über Frankreich am Sonntag hinweggezogen ist, wird wohl Geschichte machen als ein Sturm, der den politischen Beginn vom Ende der europäischen Idee markiert. In sechs von 13 Bezirken haben bei den französischen Regionalwahlen die Kandidaten des Front National von Marine Le Pen vorne gelegen und für ganz Frankreich haben sie – wie schon bei der Europawahl 2014 – alle anderen Parteien hinter sich gelassen. Präsident Hollandes „Sozialisten“ kamen nur auf Platz drei, hinter den „Republikanern“ von Ex-Präsident Sarkozy.

Marine Le Pen selbst hat ganz im Norden über vierzig Prozent geholt, genau wie ihre Nichte ganz im Süden. Auch der Chefstratege der Partei, Florian Philippot, hat in Elsass/Lothringen 36 Prozent geholt. Alle drei könnten am kommenden Sonntag die Stichwahl gewinnen, zumal Nicolas Sarkozy am Sonntag Abend sofort festgelegt hat, dass sich seine Partei in keinem Fall zugunsten von sozialistischen Kandidaten zurückzieht, um eine absolute Mehrheit des Front National zu verhindern.

Natürlich haben die meisten deutschen Medien in ihrer unerträglichen Selbstzufriedenheit sofort „festgestellt“, dass es der Terrorakt von vor drei Wochen war, der dem Front National die Wähler zugetrieben hat. Dafür spricht aber wenig. Viel mehr spricht dafür, dass der lang anhaltende Siegeszug des Front National durch die Terrorakte und die rasche „Kriegserklärung“ des Präsidenten, die seine Popularität hochschnellen ließ, sogar verlangsamt wurde.

Aber selbst bei denjenigen in den deutschen Kommentarspalten, die wenigstens merken, dass hinter diesem Sieg ein langer Aufstieg der Nationalisten steht (wie hier in der SZ), kommt als Erklärung nicht mehr als ein unerträgliches Sammelsurium an Vorurteilen heraus. Als einziger Fehler des deutschen Nachbarn wird seine Großzügigkeit in der Flüchtlingsfrage genannt, von der Eurokrise und dem langanhaltenden deutschen Fehlverhalten innerhalb der Währungsunion ist selbstverständlich nicht die Rede.

Nein, Auslöser dieses für Europa desaströsen Wahlergebnisses ist das nun schon viele Jahre währende europäische Debakel. Und, auch das muss man immer wieder klar und deutlich sagen: Es ist der deutsche Merkantilismus, gepaart mit Merkelantismus, die Frankreich demütigen und frustrieren. Friederike Spiecker und ich haben im April dieses Jahres (hier) gezeigt, wie etwa der deutsche Finanzminister – auf der Basis einer geradezu lächerlichen Diagnose der wirtschaftlichen Situation Frankreichs – „Vorschläge“ macht, um dem Land „Reformen“ á la Spanien zu verordnen. Ja, er bedauerte damals sogar, dass er sich nicht über die Souveränität des französischen Parlaments hinwegsetzen kann, um seine Politik durchzusetzen.

Bis zur nächsten Präsidentenwahl im Oktober 2017 in Frankreich sind es noch gut 20 Monate. Die Nationalversammlung wird schon im Juni 2017 neu gewählt. Gibt es keinen Durchbruch bei der wirtschaftlichen Entwicklung, das heißt, kann sich Frankreich nicht bald aus der Dauerrezession und hoher Arbeitslosigkeit lösen, besteht, das müssen nach der Wahl vom Sonntag auch die größten Optimisten zugestehen, eine realistische Chance, dass Marine Le Pen die Wahl gewinnt. Wenn ich diese Möglichkeit in den letzten drei Jahren in meinen Vorträgen angesprochen habe, wurde das häufig als überzogene Drohung angesehen. „So weit kann es doch nicht kommen“, „das werden die übrigen Europäer doch nicht zulassen, und wenn sie über ihren eigenen Schatten springen müssen“, hielt man dagegen. Jetzt aber muss man erkennen, dass selbst dann, wenn eine europäische Katastrophe mit den Händen zu greifen ist, kein deutscher Politiker jemals über seinen eigenen Schatten springt. Im Gegenteil, das Einzige, was ihnen einfallen wird, ist die Floskel von den „Reformen“, die man nur energischer angehen müsse, als Frankreich es tut.

Eine andere deutsche Medienstrategie ist es, den Front National und seine Ausstiegsstrategie zu verharmlosen, wie es die FAZ hier tut. Auch das ist Augenwischerei. Selbst wenn der Front National die Wahlen 2017 nicht gewinnt, wird der nächste gewählte französische Präsident sich gegenüber Deutschland ganz anders präsentieren müssen, als es Hollande fertig bringt. Hollande hat von Anfang an den gravierenden Fehler gemacht, dass er glaubte, er könne Deutschland durch eine Politik der Betonung der deutsch-französischen Freundschaft und seiner eigenen Kompromissfähigkeit auch zu Kompromissen bewegen. Inzwischen wird selbst er vermutlich verstanden haben, dass das ein Irrtum war. [...]

Weiterlesen im Originaltext bei ' fassbeck-ecomomiocs.de ' ..hier


*) Xenophobie ist ein recht vieldeutiger Begriff. Verschiedene Definitionen finden sie ..hier

 
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