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29.05.2015 00.35
Der Fall von Palmyra kippt das geopolitische
Gleichgewicht in der Levante von
Thierry Meyssan
Die Situation in der Levante hat sich mit der Unterbrechung
der alten „Seidenstraße“, der Passage vom Iran ans Mittelmeer, durch das
Islamische Emirat wesentlich verschärft. Es gibt nur zwei
Durchfahrtsmöglichkeiten: entweder über Deir ez-Zor und Aleppo oder über Palmyra
und Damaskus. Der erste Weg wurde Anfang 2013 abgeschnitten, der zweite gerade
soeben. Der Fall von Palmyra wird also beträchtliche Folgen für das gesamte
regionale Gleichgewicht haben. [Quelle:
voltairenet.org] JWD
Voltaire Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 25. Mai
2015
-
Quelle:
Votairenet.org (verlinkt)
Dieser Tage widmet die westliche Presse ihre Titelseiten Syrien, was seit
zwei Jahren, seit der Chemiewaffenaffäre von Ghuta und dem
Nato-Interventionsplan nicht mehr vorgekommen ist. Die Journalisten sind
beunruhigt über den Vormarsch des Islamischen Emirats und über die mögliche
Zerstörung der antiken Stadt Palmyra.
Nur Wenige allerdings kennen die Geschichte der Königin Zenobia, die im III.
Jahrhundert die Schwäche des Römischen Reichs, von dem die Gallier sich schon
befreit hatten, nutzte um ihren eigenen Sohn zum Kaiser auszurufen und sich
selbst zur Regentin. Sie befreite nicht nur Syrien, sondern auch die Völker
Ägyptens, Palästinas, Jordaniens, des Libanon, des Irak, eines Teils der Türkei
und sogar des heutigen Iran. Ihre Hauptstadt Palmyra war eine Stadt von großem
Raffinement, offen für alle Religionen – eine prächtige Etappe der Seidenstraße,
die von China bis ans Mittelmeer führte. Allerdings gelang es dem General
Aurelian, nach der Durchführung eines Staatsstreich in Rom die Einheit des
Reiches wiederherzustellen, indem er zuerst die Kaiserin Zenobia und dann das
Gallische Reich besiegte. Er setzte der Freiheit der Religion ein Ende, zwang
den Kult des Sol Invictus („Unbesiegter Sonnengott“) auf und ernannte sich
selbst zum Gott. Diese zauberhafte Geschichte macht Palmyra zum Symbol für den
Widerstand der Levante gegen den westlichen Imperialismus jener Zeit.
Über die Bedeutung, welche die westliche Presse dem Fall von Palmyra verleiht,
kann man sich wundern. Um so mehr als in dieser Woche der wichtigste Fortschritt
von Daesh nicht in Syrien, nicht im Irak, sondern in Libyen durch den Fall von
Syrte erfolgte, einer Stadt mit fünf- bis sechsmal mehr Bevölkerung als das
syrische Palmyra. Dennoch wird dies von denselben Journalisten verschwiegen, die
sich seit zwei Monaten ausführlich über die chaotische Situation in Libyen
auslassen und nach einer europäischen Militärintervention rufen, um dem Transit
der Migranten ein Ende zu setzen. In Wahrheit wird Daesh in Libyen durch
Abdelhakim Belhaj kommandiert, der zum Militärgouverneur von Tripolis unter der
Schirmherrschaft der Nato ernannt und am 2. Mai 2014 in Paris am Quai d’Orsay
offiziell empfangen wurde.
Um noch etwas mehr zu dramatisieren, bestätigen die westlichen Journalisten
einstimmig, von nun an „kontrolliert Daesh die Hälfte des syrischen
Territoriums“ (sic). Indessen widersprechen ihnen ihre eigenen Karten, denn sie
zeigen nur die Kontrolle über einige Städte und Landstraßen, nicht über die
Regionen.
Offensichtlich zielt die mediale Behandlung der Situation im „erweiterten
Vorderen Orient“ nicht darauf, Bericht zu erstatten über die Wirklichkeit,
sondern beurkundet bestimmte klug ausgewählte Elemente, um politische Absichten
zu rechtfertigen.
Daesh und der Einsatz von Palmyra
Wir wünschen uns, die durch den Fall Palmyras aufgeputschten Emotionen wären
aufrichtig und die Westmächte hätten nun, nachdem sie ein Jahrzehnt lang mehrere
Millionen Menschen in dieser Region umgebracht haben, beschlossen, mit diesen
Verbrechen Schluss zu machen. Wir lassen uns aber nicht täuschen. Diese
bestellten Emotionen sind darauf gerichtet, die Begründung für eine militärische
Antwort auf oder aus Anlass von Daesh zu geben.
Diese ist unumgänglich, wenn Washington weiterhin das Abkommen, das es zwei
Jahre lang mit Teheran ausgehandelt hat, unterschreiben will.
Tatsächlich ist Daesh durch die Vereinigten Staaten mit Unterstützung der
Türkei, der Golf-Monarchien und Israels geschaffen worden, wie wir schon immer
bestätigt haben und wie ein diese Woche in Teilen freigegebenes Dokument der
Defense Intelligence Agency (DIA) bezeugt, das die Leser am Ende dieser Seite
herunterladen können.
Im Gegensatz zu dem dummen Geschwätz mancher Journalisten, die das „Regime von
Bachar“ (sic) beschuldigen, Daesh geschaffen zu haben, um die Opposition zu
zersplittern und in Radikalismus abrutschen zu lassen, bezeugt die DIA, dass das
Islamische Emirat für die Strategie der Vereinigten Staaten funktionell ist.
Dieser Bericht mit Datum vom 12. August 2012, der weite Kreise der gesamten
Obama-Verwaltung durchlaufen hat, kündigte klar die Pläne Washingtons an:
„Wenn die Situation sich entwickelt, wird es die Möglichkeit geben, im Osten
Syriens (Hassake und Deir ez-Zor) ein salafistisches Fürstentum einzurichten,
anerkannt oder nicht, was genau das Ziel der Unterstützer der Opposition [die
westlichen Staaten, die Golfstaaten und die Türkei] ist, um das syrische Regime
zu isolieren, welches als strategische Tiefe der schiitischen Expansion (Irak
und Iran) angesehen wird“. Wie wir immer bestätigt haben, ist das Islamische Emirat durch eine Entscheidung
des US-amerikanischen Kongresses entstanden, der in geheimer Sitzung im Januar
2014 zusammenkam, um den Wright-Plan zu verwirklichen. Es ging darum, ein
„Kurdistan“ und ein „Sunnistan“ auf dem Rücken von Syrien und dem Irak zu
erschaffen mit dem Zweck, nach dem Kauf von Deir ez-Zor (die Stadt ist kampflos
bei korrupten Beamten gekauft worden) die „Seidenstraße“ zu unterbrechen.
Seit sehr alten Zeiten verbindet ein Bündel von Kommunikationswegen Xi’an (die
ehemalige chinesische Hauptstadt) mit dem Mittelmeer. Diese Straße verbindet den
Iran durch die Wüste mit dem Meer, entweder über Deir ez-Zor und Aleppo oder
über Palmyra und Damaskus. Sie wird heute für den Waffentransit nach Syrien und
zur libanesischen Hisbollah gebraucht und sollte für den Transport des Gases vom
Gasfeld Fars (Iran) zum Hafen Latakia (Syrien) genutzt werden.
Palmyra, die „Stadt der Wüste“, ist nicht nur Überbleibsel einer wunderbaren
Vergangenheit, sie ist ein strategisches Teilstück im regionalen Gleichgewicht.
Deshalb ist es grotesk zu behaupten, die Syrische Arabische Armee hätte nicht
versucht, sie zu verteidigen. In Wahrheit hat diese Armee gehandelt, wie sie
immer seit der Ankunft der Söldner im Land gehandelt hat: Um die zivilen
Verluste minimal zu halten, zieht sie sich zurück, wenn die Söldner in kleinen,
koordinierten Gruppen (dank der Kommunikationsmittel, die ihnen der Westen
liefert) vordringen, und sie schlägt zu, wenn sie sich neu gruppieren.
Die internationale Anti-Daesh-Koalition, die von den Vereinigten Staaten im
August 2014 geschaffen wurde, hat nie die Jihadisten bekämpft. Im Gegenteil, es
ist bewiesen – nicht nur einmal, sondern etwa vierzigmal –, dass die Flugzeuge
des Westens Waffen und Munition für das Islamische Emirat abgeworfen haben.
Im Übrigen gibt das genannte Bündnis von 22 Staaten vor, eine höhere Anzahl
Menschen zur Verfügung zu haben, die besser aufgestellt sind und über besseres
Material als Daesh verfügen. Dennoch ist das Islamische Emirat von ihm nicht zum
Rückzug gebracht worden, es erobert vielmehr fortgesetzt neue Straßen.
Die Evolution der US-amerikanischen Interessen
Wie dem auch sei, Washington hat seine Strategie verändert. Wie die Nominierung
des Colonels James H. Baker zum neuen Strategen des Pentagon belegt, ist das
Blatt der Strategie des Chaos gewendet. Die Vereinigten Staaten kommen zu einem
klassischen Imperiumskonzept zurück, das auf stabile Staaten gegründet ist. Und
um das Abkommen mit dem Iran zu unterzeichnen, müssen sie nun vor dem 30. Juni
das Islamische Emirat aus der Levante fortschaffen.
Die überzogene Pressekampagne zum Fall von Palmyra könnte einfach eine
Vorbereitung der öffentlichen Meinung auf einen wirklichen Militäreinsatz gegen
Daesh sein. Dies wird die Bedeutung des Treffens der 22 Mitglieder des
Bündnisses (und zweier internationaler Organisationen) am 2. Juni in Paris sein.
Bis dahin wird das Pentagon entscheiden müssen, ob es das Islamische Emirat
zerstört oder es verlegt und anderswo für neue Aufgaben benutzt. Drei
Bestimmungen sind in Betracht zu ziehen: die Jihadisten in Libyen zu ersetzen;
in Schwarzafrika; oder im Kaukasus.
Im gegenteiligen Fall wird der Iran nicht unterzeichnen und der Krieg würde sich
bis zu seinem Höhepunkt fortsetzen, denn der Fall von Palmyra unter den vom
Westen erzeugten Schlägen der Jihadisten wird dieselben Folgen haben wie ihre
Eroberung durch die Legionen des Aurelian. Von nun an wird sie das Überleben der
„Achse des Widerstands“ bedrohen, das heißt der Koalition
Iran-Irak-Syrien-Libanon-Palästina. Die Hisbollah zieht in Betracht, die
allgemeine Mobilmachung zu verfügen.
Autor: Thierry Meyssan | Übersetzung:
Sabine
Link zum Originaltext bei ' voltairenet.org '
..hier
Beigefügte Dokumente:
(PDF - 582.2 kB)
Info:
Thierry Meyssan Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau
Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über
ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen
Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture :
Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).
Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative
Commons (Lizenz CC BY-NC-ND)
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