<< zurück | Home | JWD-Nachrichten | Teilen

24.12.2012 11:15
Was für Religion zu sprechen scheint -
Argumente auf dem Prüfstand

Es gibt Argumente, die immer wieder angeführt werden, um zu belegen, dass an Religion etwas dran oder sie sogar notwendig ist für die menschliche Gesellschaft. Buchautor Alfred Binder stellt in einer Serie auf den Prüfstand, was für Religion zu sprechen scheint. [Quelle: hpd.de]  JWD

In einem vierteiligen Essay, von dem jetzt der 3. Teil erschienen ist, setzt sich der Autor mit einigen Rechtfertigungskonstrukten auseinander, die seitens der Religionsbefürworter immer wieder angeführt werden. Die Argumente für Unsinniges in den Religionen sind gut herausgearbeitet und zeigen einerseits auf wie wichtig Aufklärung wäre und andererseits, wie wenig indoktrinierte Menschen bereit sind, ihren irrationalen Glauben ernsthaft zu hinterfragen.

[Auszug]:
Im ersten Teil setzte er sich mit der Behauptung, dass alle Völker eine Religion hatten, auseinander und erörtert, welche Bedeutung diese Aussage hat. Letzte Woche, im zweiten Teil, ging es um die Frage, was davon zu halten ist, dass es viele Menschen gibt, die meinen, Gott habe sich ihnen offenbart. Diesmal prüft Alfred Binder, was es mit der Aussage, dass Gott durch das Herz, nicht aber durch die Vernunft wahrgenommen werde, auf sich hat.

Für den katholischen Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) nimmt „das Herz und nicht die Vernunft“ Gott wahr: „Das heißt glauben.“ Für die Gläubigen formulierte er mit diesen Worten eine große Wahrheit: Glaube ist eine Sache. Vernunft und Verstand sind eine ganz andere, liegen auf einer anderen Ebene, reichen bei weitem an den Glauben nicht heran. In diesem Sinne wusste schon der heilige Thomas (1225-1274) in seiner „Summe gegen die Heiden“ I 7,42: „Der Glaube nämlich vermag auch das zu erfassen, was sich der Vernunft versagt; denn die Wahrheit des christlichen Glaubens geht über die Fähigkeit der menschlichen Vernunft hinaus.“

Man glaubt – und damit hat es sich!
Noch radikaler als Thomas fasste Martin Luther (1483-1546), der Gründer des Protestantismus, das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Für ihn schien Religion völlig unvernünftig zu sein, denn sonst ergibt sein Wort keinen Sinn: „Wer Christ sein will, der steche seiner Vernunft die Augen aus.“ [..]

Diese Einstellung, der Glaube ist und muss von rationalen Argumenten unabhängig sein, wird Fideismus genannt. Das Wort kommt vom lateinischen fides, welches Glauben bedeutet. „Gott sei weder beweisbar noch widerlegbar – genau deshalb sei er ja eine Sache des Glaubens“, geben die Philosophen Rüdiger Vaas und Michael Blume diese Einstellung wieder.

Vernunft ist kalt
Eine weitere beliebte Strategie, den Glauben über der Vernunft anzusiedeln, besteht darin, alles, was an modernen Gesellschaften unbeliebt ist, der Vernunft anzulasten. Man zeichnet ein Zerrbild der Vernunft, indem man sie mit negativ besetzten Begriffen koppelt, wie kalte Technik, Machbarkeitswahn, Rationalisierung, verengende naturwissenschaftliche Sichtweise und ähnlichem. [..]

Es macht auch keinen inhaltlichen Sinn, den Begriff der Vernunft mit von Gläubigen positiv besetzen Begriffen zu koppeln, wie es der Theologe Joseph Ratzinger gerne machte. So sei Gott der „rationale Urgrund alles Wirklichen“, die „schöpferische Vernunft, aus der die Welt entstand und die sich in der Welt spiegelt“. [..]

Peter Henkel weist darauf hin: Vernünftig zu argumentieren, heißt gerade nicht spekulative Setzungen zu benutzen und so zu tun, als seien sie unumstößliche Tatsachen. Dass Gott rationaler Urgrund und schöpferische Vernunft sein soll, sind völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen, die noch dazu nicht besonders sinnvoll sind. Was wäre ein irrationaler Urgrund alles Wirklichen? Und wie und wo spiegelt sich in der Welt göttliche Vernunft?

Vernunft und Offenbarung
Fideisten, Gläubige, die vernünftige Argumente für oder gegen ihren Glauben ablehnen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, irrationale Diskussionsverweigerer zu sein, die sich, bewusst oder unbewusst, mit religiösen Fundamentalisten und Terroristen in ein Boot setzen. Deshalb versuchen manche Gläubige, besonders Theologen, einen Mittelweg zwischen Fideismus und Rationalismus zu finden.

[..] Der berühmteste Harmonisierungstheologe war der Dominikaner Thomas von Aquin. [..] Thomas’ Unternehmen kann man als den Versuch verstehen, die christlichen Glaubensüberzeugungen vernunftkompatibel zu gestalten. [..] Seine Verbindung von Rationalismus und Fideismus lautete: Bestimmte religiöse Lehren, wie die Existenz Gottes lassen sich mit der natürlichen Vernunft einsehen, aber nicht „höhere“ christliche Glaubenswahrheiten. Sie erfordern einen Sprung in den Glauben. Im Lichte einer „übernatürlichen Vernunft“ werden sich seine Inhalte dem Gläubigen als absolut wahr erweisen.

[..] Man kann sagen, Thomas löste die Probleme der Theologie, indem er die Vorsilbe un- durch die Vorsilbe über- ersetzte: Alles was unlogisch und unsinnig ist, ist eigentlich überlogisch und übervernünftig.

Wie soll ein Gläubiger wissen, dass speziell die übervernünftigen Glaubensinhalte seiner Religion wahr sind, wenn er weder diese Inhalte noch die einer anderen Religion versteht? Weil es ihm das Gefühl, das Herz, die Intuition sagt? Aber auch Gefühl (Herz) und Intuition von Gläubigen anderer Religionen reden viel, besonders wenn die Not groß ist. Gefühle lösen ständig Urteile in uns aus, viele sind richtig, aber bei weitem nicht alle. Ob sie wahr sind, müssen wir an der Wirklichkeit überprüfen.

Der Zen-Buddhismus ist das Paradebeispiel für eine Religion, die behauptet, ihre Wahrheit sei nicht mit den Mitteln der Vernunft begreifbar, sie sei es nur durch einen großen Sprung, durch eine große Erleuchtung. Wenn der Zen-Buddhismus und mit ihm der Buddhismus wahr ist, dann kann das Christentum nicht wahr sein, [..].

Wenn der Zen-Buddhismus wahr ist, dann gibt es keine Dinge, die ewig existieren, keine Seele, keinen Jesus, keinen Gott, keine Körper, die sich ewig in einem Paradies verlustieren. Wenn der Zen-Buddhismus wahr ist, dann gilt: All things must pass, einschließlich Jesus und Göttern. [..] Im Zen-Buddhismus erkennt das „Herz“ die Wahrheit der Vergänglichkeit. Christen klammern sich, aus der Sicht des Zen-Buddhismus, an kindliche Fantasien, so an den großen Bruder Jesus, der sie immer und überall beschützt und sie im Paradies empfängt. [..] Welche der „übervernünftigen“ Wahrheiten ist nun wahr, die der absoluten Vergänglichkeit des Zen-Buddhismus oder die Mysterien und Versprechen des Christentums?

Aber: Weder der Zen-Buddhismus, noch das Christentum, noch irgendeine andere Religion ist übervernünftig, sie sind einfach in weiten Teilen unvernünftig. Sie verfügen über keine übervernünftigen Überzeugungen, weil es übervernünftige Überzeugungen nicht gibt. Es gibt nur unvernünftige und unverständliche, zu letzteren zählen auch unlogische.

[..] Eine Leugnung der Gültigkeit der Vernunft und damit auch der Logik, besitzt den großen Vorzug, jede Behauptung als Wahrheit ausgeben zu können und wenn es das glatte Gegenteil von dem ist, was man im Satz vorher behauptet hat. Alle Immunisierungstechniken, welche Sekten gegenüber Kritik anwenden, laufen letztlich auf die Leugnung des Widerspruchssatzes hinaus. Für sie gilt: „Widersprüche zählen nicht“ und „widersprich mir nicht“.

[..] Die hochmütige Haltung des Fideismus bietet sich deshalb besonders gut an für Diskussionsverweigerer, Diktatoren, Fundamentalisten und Terroristen.

Wer über seinen Glauben keine kritische Rechenschaft ablegt, ist ein unmündiger, ein unselbstständiger, ein indoktrinierter Mensch, jemand der sich immer sagen lässt, was er tun und denken soll. Er glaubt entweder aus Gewohnheit und/oder weil er es aus psychischen Gründen benötigt, aber nicht, weil er gute Gründe hat, dass heißt Gründe, die in der Realität verankert sind.

[..] Bei Diskussionen über die Religion wird oft, meist von religiöser Seite, eine grundlegende Unterscheidung nicht beachtet: die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Wissen auf der einen Seite und Gefühlen und Wünschen auf der anderen Seite. Als Frage formuliert lautet diese Unterscheidung: Was wissen wir über religiöse Dinge, Jenseitiges wirklich? Welche Behauptungen über Jenseitiges, Religiöses können wir mit gutem Gewissen als wahr oder auch nur als einigermaßen plausibel bezeichnen? Und was behaupten wir über Religiöses nur, weil uns unsere Gefühle und Wünsche dazu drängen?

Wer sich vor Strafen durch Geister fürchtet, nimmt anerzogene Gefühle als Beweis für die Existenz von übernatürlichen Wesen. Wer für Religion plädiert, weil ohne sie das Leben keinen Sinn habe, setzt einen Wunsch an die Stelle von Wissen; [..].

Die Vermengung von Wissen, Gefühlen und Wünschen ist der Hauptgrund, warum viele Menschen mit der Religion nicht ins Reine kommen. [..] Auch die poetische Qualität religiöser Texte erhöht nicht ihren Wahrheitsgehalt, auch sie bringt nur Gefühle zum Schwingen.

Gefühle sind nicht wahr oder falsch, sie sind angenehm, unangenehm oder neutral. Gefühle zeigen uns, wie unsere Psyche, aufgrund unserer biologischen Programme und unserer Erziehung, die Welt verarbeitet. Gefühle zeigen nicht, wie es sich „da draußen“ tatsächlich verhält, sie beweisen letztlich nur ihre eigene Existenz. Dass uns Gefühle oft in die Irre führen, beweist allein schon die Existenz der vielen sich widersprechenden Religionen, die einfach nicht alle wahr sein können. [..]  [Auszug Ende]

Link zum vollständigen Artikel bei ' hpd.de '  Teil 3 ..hier  | Teil 2 ..hier  | Teil 1 ..hier

Leseprobe (PDF):  Religion. Eine kurze Kritik. Warum Religionskritik? Eine Sache des Gefühls  ..hier


*) Alfred Binder studierte Sozialarbeit und Philosophie. 2009 erschien sein Buch „Mythos Zen“, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zen-Buddhismus. Der vorliegende Text basiert auf einem Kapitel aus seinem neuen Buch „Religion. Eine kurze Kritik“, das im Herbst als erster Band der Reihe Kritikpunkt.e im Alibri Verlag erschienen ist.

 
<< zurück | Home |