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07.08.2012 14:10
Anleitung zum Selbstmord - Klassenkampf der Troika unter deutscher Anleitung
Noam Chromsky*: "Die europäische Krisenstrategie ist Selbstmord. Es ist ziemlich schwierig, die Politik der sogenannten Troika unter der Führung Deutschlands als etwas anderes als Klassenkampf zu interpretieren. EZB-Präsident Mario Draghi hat selbst gesagt, dass man den Sozialstaat loswerden will. [..] Europa hätte genügend Ressourcen, um die Nachfrage zu stimulieren und die Wirtschaft in Gang zu bringen. Aber eine Sparpolitik in Zeiten einer Rezession ist eine Anleitung zum Selbstmord". [Quelle: tagesspiegel.de]  JWD


Chromsky: "Sogar Studien des IWF zeigen das. Der Effekt der aktuellen Politik, und vermutlich auch die Intention, ist der Abbau des Wohlfahrtsstaates. [..] Wenn man verschuldet ist, muss man der Wirtschaft zu Wachstum verhelfen. Sparpolitik macht alles nur noch schlimmer. Das war von Anfang an klar, und man sieht ja derzeit, wo es hinführt. [..]

Link zum vollständigen Interview vom 05.08.2012 bei ' tagesspiegel.de ' ..hier


*) Avram Noam Chomsky (* 7. Dezember 1928 in Philadelphia, Pennsylvania, USA) ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Chomsky ist einer der bekanntesten amerikanischen Linguisten der Gegenwart, [..]. Chomsky als einer der bedeutendsten Intellektuellen der politischen Linken Nordamerikas ist seit dem Vietnamkrieg als scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik weltweit bekannt. Chomsky ist im Zeitraum zwischen 1980 und 1992 die am häufigsten zitierte lebende Person der Welt gewesen.  [Quelle: Wikipedia ..hier]


Passend zum Thema:
„Die Reichen kaufen sich das System.“ [Quelle: das-blaettchen.de]
Heiner Flassbeck: Es gibt aktuell zwei Krisen, die sich überlappen. Da ist zum einen die allgemeine Finanzkrise, deren Ursache in der nahezu kompletten Deregulierung der Finanzmärkte liegt, die die Politik seit Ende der 80er Jahre – beginnend unter Margret Thatcher und Ronald Reagan – herbeigeführt hat. Die Folge war eine Loslösung dieser Märkte von der Realwirtschaft und das Überschießen in einen Casinokapitalismus, in Spekulationsgeschäfte mit irrationalen Wetten und artifiziellen Finanzprodukten in immer aberwitzigeren Dimensionen.

All dies zielte allein darauf, die Gier der Anleger zu anzustacheln, damit Banken, Hedgefonds sowie andere Finanzjongleure und vor allem deren Spitzenmanager daran unglaubliche Summen verdienen konnten. Dieser Entwicklung hat die Politik auch nach dem Crash von 2008 keinen wirksamen Riegel vorgeschoben.

Daneben haben wir eine Euro-Krise, die nicht ursächlich mit der Finanzkrise zusammenhängt, aber durch diese ausgelöst wurde. Die Euro-Krise resultiert aus einem Geburtsfehler der Währungsunion, der von der Politik bis heute nicht richtig begriffen worden ist. Zwischen Staaten mit unterschiedlichen Währungen können wirtschaftliche Ungleichgewichte durch Währungsauf- oder -abwertungen ausgeglichen werden.

So hat Argentinien vor Jahren den Weg aus der Staatspleite zu neuer Prosperität gefunden. In einem einheitlichen Währungsraum steht dieses Instrumentarium aber nicht zur Verfügung. So ein Raum funktioniert daher nur, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Teilnehmerländer nicht zu weit auseinanderklafft und wenn ein gemeinsames Inflationsziel definiert und eingehalten wird.

Letzteres aber nicht nur beim Start einer Währungsunion, wie man zurzeit der entscheidenden Weichenstellungen für den Euro Ende der 90er Jahre glaubte, sondern permanent. Das wiederum setzt eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik voraus. Die gibt es aber bis heute nicht, und das gemeinsame Inflationsziel hat vor allem Deutschland durch seine langjährige Politik der Lohnzurückhaltung und des Sparens massiv unterlaufen und damit die wirtschaftlichen Disproportionen im Euro-Raum außerordentlich verstärkt.

Dadurch hat Deutschland zugleich massiv an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen, die südeuropäischen Euro-Ländern haben ebenso massiv verloren, und das Mittel, über Veränderung der Währungsrelationen steuernd eingreifen zu können und relativ rasch Wirkung zu erzielen, gibt es nicht mehr. Die diversen Rettungsschirme lösen dieses Problem gerade nicht. Alles zusammen hat das internationale Vertrauen in die Gemeinschaftswährung und ihren Bestand stark erschüttert. [..]

Flassbeck: Das unproduktive Eigenleben der sogenannten Finanzindustrie beenden und sie wieder in Dienst des Gemeinwesens stellen ist ein absolut zeitgemäßer Gedanke, [..]. Heute ist die Welt ja so einfach strukturiert, wie Josef Stiglitz das kürzlich mal für die USA formuliert hat: „Das Weiße Haus hat nichts zu sagen, den Ton gibt das Treasury an. Zu sagen hat das aber auch nichts, denn der Bestimmer ist Wall Street.“ [..]

Ich bin absolut dafür, Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln- und Rohstoffen grundsätzlich zu verbieten, da sie keinerlei volkswirtschaftlich sinnvolle Funktion erfüllen, sondern Schaden anrichten. In diesen Bereichen hat sich die Preisbildung völlig vom Zusammenhang von Angebot und Nachfrage gelöst – mit fatalen volkswirtschaftlichen und, was Nahrungsmittel anbetrifft, sozialen Folgen, vor allem in der Dritten Welt. [..]

Gegen die Notwendigkeit einer Zerlegung von Finanzgiganten in volkswirtschaftlich beherrschbare Größen kann niemand mit klarem Verstand ernsthafte Gegenargumente vorbringen. Und die Abschaffung der privaten Ratingagenturen ist spätestens seit dem Crash von 2008 überfällig. [..] Ich befürchte allerdings, dass es weiterer und schlimmerer Krisen bedarf, um die verantwortlichen Akteure nachhaltig auf einen entsprechenden Kurs zu bringen. Denn bisher zeigt sich leider immer wieder, dass die Fiktion von der „Weisheit der Märkte“, die es letztlich schon richten werden, wie ein ideologisches Brett vor dem Kopf wirkt, das den Blick auf die Realität und ihre Erfordernisse vollständig blockiert.

Stichwortwechsel: Sie werden nicht müde, den rigorosen Kurs des Sparens und des Schuldenabbaus,[..], als den völlig falschen Ansatz zur Krisenbewältigung zu geißeln. Was ist verkehrt daran, den nächsten Generationen keine ruinösen Schulden hinterlassen zu wollen?

Flassbeck: Wenn Sie diese Frage als Privathaushalt stellen, dann ist daran überhaupt nichts Falsches. Leider tun die Politiker fast durchgängig so – und die Medien plappern das nach –, als ob eine Gesellschaft genau so funktioniert wie ein Privathaushalt. Das klingt schlüssig, ist aber kompletter Unsinn. Ohne Schulden gibt es nämlich auch kein Sparen. Keine Schulden machen heißt, den Leuten auch das Sparen zu verbieten.

Denn wenn niemand Kredite in Anspruch nimmt, um in Wirtschaft, Infrastruktur, Bildung und so weiter zu investieren, kann auch nicht gespart werden. Ohne Sparen und Investitionen aber ist der Niedergang vorprogrammiert, was wir in Deutschland zum Beispiel an einer großen Zahl verrottender Schulen und aus allen Nähten platzender Universitäten sehen. [..]

Wenn Sie die Kernaspekte einer zukunftsfähigen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu benennen hätten, welche wären das?

Flassbeck: Was die Marktwirtschaft in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg so extrem erfolgreich gemacht hat, das waren die Grundsätze von Keynes. Der war übrigens auch der Vater des deutschen Wirtschaftswunders; Ludwig Erhard hat dazu – entgegen der landläufigen Meinung – nur sehr wenig beigetragen.

Es geht um eine Rückkehr zu Keynes – natürlich unter den heutigen Bedingungen. Seit dem Ende des Systems von Bretton Woods läuft die Entwicklung der entscheidenden makroökonomischen Determinanten der Marktwirtschaft westlichen Zuschnitts systematisch falsch; das betrifft Währungsrelationen, Löhne, Zinsen und Rohstoffpreise. Diese Determinanten dürfen nicht dem Markt überlassen (Währungen, Löhne, Rohstoffpreise) oder nach neoliberalen Kriterien festgesetzt (Zinsen) werden, sondern müssen konsequenter staatlicher und internationaler Regulierung unterliegen, damit die Märkte funktionieren.

Und bevor ich mir hier unsinnige Gegenargumente im Hinblick auf die Löhne einhandle, will ich gleich noch anfügen, dass es darum geht, dass deren Entwicklung – und dafür muss der Staat sorgen – nicht von jener der Produktivität abgekoppelt wird. Das versucht die Wirtschaft natürlich, wenn man sie lässt, obwohl sie sich am Ende damit selbst schadet. [..]

Hart ins Gericht gehen Sie auch mit Ihrer Zunft, der der Ökonomen, mit deren Unfähigkeit, „die Welt angemessen zu deuten“. Woher rührt diese Unfähigkeit? Ist es Dummheit oder ideologisch bedingtes Kalkül?

Flassbeck: Das ist im Einzelfalle nicht immer leicht zu entscheiden. Fakt ist, dass die vorherrschende neoliberale Lehre der letzen 30 Jahre zu einer Radikalität auch in der theoretischen Arbeit geführt hat, die ich nicht für möglich gehalten hätte. In dieser Lehre ist jegliche Regulierung des Teufels, und der Markt ist der Fetisch, der stets alles ins Lot bringt. Dieser Grundsatz führt direkt zu einer geradezu pathologischen Dichotomie von Staat – der unfähig ist zu wirtschaften, ineffizient, tödlich für die kreativen Kräfte des Kapitalismus – und Markt, der absolut perfekt ist und das allgemeine Heil bringt.

Der Markt, vor allem der Finanzmarkt, ist zum Götzen gemacht worden, dem jedes Opfer zu bringen ist, und Gewinn, ganz gleich wie kurzfristig, wurde zum einzigen Maßstab für Sinn und Erfolg jeglicher wirtschaftlicher Aktivität. Ein Kollateralschaden dessen war die totale Ökonomisierung der Gesellschaft. Selbst Krankenhäuser und Universitäten werden heute wie Wirtschaftsunternehmen geführt, deren Hauptfunktion nicht mehr ihre gesellschaftliche ist, sondern Geld zu verdienen oder zumindest öffentliche Ausgaben zu sparen.

Und all das war nicht das Werk von intellektuellen Spinnern. Vielmehr sind von den interessierten Kreisen in den vergangenen 30 Jahren immense Summen in die Wirtschaftswissenschaften gesteckt worden, allen voran in den USA, um die neo- beziehungsweise radikalliberale Lehre auch theoretisch zu begründen und zur allein vorherrschenden mit quasi-religiösen Zügen zu machen. Und das ist gelungen.

In den „Zehn Mythen“ schreiben Sie, „dass ‚die Wirtschaft’ bzw. ‚der Kapitalismus’ […] nur Instrumente sein dürfen, die die Gesellschaft einsetzt, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen“. [..]  Sind privates, also nichtgesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln, und Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse nicht ein Widerspruch in sich?

Flassbeck: Roosevelts Politik des New Deal in den USA und die Periode nach 1945 in breiterem Maßstab haben gezeigt, dass soziale Marktwirtschaft möglich ist und dass Gesellschaften unter solchen Bedingungen prosperieren. Aber der Gegensatz von Privateigentum und gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung war auch zu jener Zeit nicht aufgehoben, ja sollte gar nicht aufgehoben werden, denn das Privateigentum hat einen historisch beispiellosen Wohlstand hervorgebracht.

[..] Allerdings waren massive Eingriffe des Staates notwendig, um den Kapitalismus für die gesamte Gesellschaft produktiv zu machen und nicht nur für eine dünne Oberschicht.
Hinzu getreten ist bereits vor Jahrzehnten die ökologische Dimension, die hemmungsloses Wirtschaften verbietet. Auch damit hätte sich der Unternehmer nicht auseinandergesetzt, weil es einzelwirtschaftlich dazu keinen Anreiz gibt. Auch hier muss und kann der Staat der Wirtschaft einen neuen Rahmen setzen. [..]

Und, was heute in den Köpfen der Menschen völlig verschüttet ist, es bedarf vor allem am Arbeitsmarkt einer massiven staatlichen Regulierung, damit die Marktwirtschaft sich überhaupt voll entfalten kann. Investitionsgetriebene Marktwirtschaft funktioniert nur bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit und bei Reallöhnen, die der Produktivität jederzeit folgen. Dazu braucht man starke Gewerkschaften. Nur wenn alle Arbeiter in einer Branche die gleichen Löhne erhalten, ist der Wettbewerb ein Wettbewerb um die höchste Produktivität und nicht einer um die Krone im Dumping gegenüber einer individualisierten Arbeitnehmerschaft.

Und nur dann gibt es einen ständigen Anreiz für die Unternehmen, sich auf produktive Weise anzustrengen und die Potenziale des Systems auszuschöpfen. Wenn aber Gewinnsteigerungen durch Verringerung der Lohnkosten erzielt werden können und durch Druck auf die Arbeitnehmer infolge immer weiter flexibilisierter Arbeitsmärkte, wie sie von unserer Politik seit langem favorisiert werden, dann schlafft dieser Anreiz spürbar ab und die Investitionen stagnieren.

Herr Flassbeck, Sie liefern seit Jahren Ideen für die Rückkehr zu einer sozialen Marktwirtschaft und damit gegen ein Taumeln des Kapitalismus von einer Krise in die nächste, [..] Aber wie ist ein Paradigmenwechsel hinzubekommen mit einer politischen Klasse, der geradezu ins Stammbuch gehört, [..]: „Wer einmal die Logik auf dem Altar der eigenen Ideologie geopfert hat, verliert damit auch die Urteilskraft, um den eigenen Untergang zu verhindern.“?

Flassbeck: Das scheint in der Tat ein Kampf gegen Windmühlenflügel zu sein. Denn obwohl ich mich über Resonanz im Einzelnen [..] nicht beklagen kann, ist es bisher nicht gelungen, die politischen Verantwortungsträger in Deutschland und anderswo wenigstens zum Umdenken, geschweige denn zum Umlenken zu veranlassen. Nicht einmal in Ansätzen. Das zeigt eine Lernunfähigkeit, die ist frustrierend.

Der Brüningsche Fehler, praktisch ausschließlich auf Sparmaßnahmen zu setzen, wird von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gerade mit Nachdruck wiederholt, und praktisch die gesamte politische Klasse mit Ausnahme der Linken, die Medien und der überwiegende Teil der wirtschaftswissenschaftlichen Elite trotten unter gebetsmühlenartiger Wiederholung ihres Mantras von der vorgeblichen Notwendigkeit marktkonformen Agierens wie in Trance hinterher und werden nur munter, wenn jemand Alternativen auch nur zur Debatte stellen will. Nicht, um zuzuhören, sondern um den Ketzer kollektiv mit dem Totschlagsargument „alternativlos“ zum Schweigen zu bringen.

[..] Wir befürchten, dass für die Demokratie eher gilt, was über Wahlen schon lange als Bonmot im Umlauf wird: Wenn die etwas änderten, würden sie verboten. Jedenfalls beweisen China und andere Länder, dass ein besonders dynamischer Kapitalismus sehr gut ohne Demokratie westlichen Zuschnitts auskommt …

Flassbeck: Das ist in China zweifellos der Fall. Aber auch in Europa und in Amerika bewegt sich die Demokratie auf eine gefährliche Linie zu oder hat sie vielleicht schon überschritten. Wenn Sie sich erinnern, hatten wir vor Jahren noch eine Neiddebatte. Jedem, der für mehr Verteilungsgerechtigkeit eintrat, wurde Sozialneid unterstellt, und das treffliche Gegenargument lautete: Lasst die Reichen doch ruhig reicher werden, dann geben sie auch mehr für Charity und gesellschaftlich nützliche Zwecke.

Hasso Plattner und ein paar andere tun das tatsächlich, aber gesamtgesellschaftlich passiert ganz etwas anderes: Die Reichen und Superreichen kaufen sich die politische Macht und das ganze System! Wenn man sieht, wie heute in Amerika Wahlkämpfe gewonnen werden, nämlich mit zig-Millionen Dollar, dann zeigt das, wie weit die Demokratie bereits pervertiert ist. [..]

Link zum vollständigen Artikel bei ' das-blaettchen.de '  ..hier


Anmerkung: Der auszugsweise zitierte Text ist stark gekürzt. Gleichwohl sollten die wichtigsten Zusammenhänge nicht sinnentstellt erkennbar sein.

 
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